Eine Glanzleistung in St. Johann: Mendelssohns Oratorium Paulus unter der Leitung von Bernhard Zosel mit dem Chor der Johanniskirche, vorne links Sopransängerin Patricia Zehme und rechts Katharina Magiera, Alt. Foto: Sura
Kronberg (aks) – Fast genau ein Jahr nach Verdis „Messa da Requiem“ übertraf sich Kantor Bernhard Zosel mit einer weiteren Glanzleistung in St. Johann: Das prachtvolle Oratorium „Paulus“ von Mendelssohn Bartholdy war gut gewählt zum 500. Reformationstag. Die Zuhörer in den voll besetzten Reihen lauschten andächtig der majestätischen Musik Mendelssohns, die vor allem mit den prunkvollen Chorstücken als atemberaubend schön bezeichnet werden darf.
Mendelssohn komponierte dieses Meisterwerk, ein Auftragswerk des Cäcilien-Chors Frankfurt, 1836, da war er 27 Jahre alt. Das Thema der Wandlung des Saulus zum Paulus faszinierte ihn, der selbst jüdischer Herkunft war und mit sieben Jahren protestantisch getauft wurde. Er setzte sich intensiv mit den theologischen Inhalten auseinander und studierte die Texte der Apostelgeschichte, des Neuen Testaments und der Psalme. So gleicht vor allem der zweite Teil des Oratoriums eher einer Predigt – furios und berauschend und ganz im Geiste Bachs und Händels vertont. Facettenreich ist der Dialog mit Gott: Vom Jubelchor bis zur Hasspredigt des Volks, vom innigen Gebet und Flehgesang bis zum Heilsversprechen der Apostel und der Hoffnung auf Erlösung - immer geht es um die Hingabe an Gott – um Gottvertrauen. Der Chor brillierte, gemeinsam mit den 26 Musikern des Orchesters, die mit Pauke und Trompeten den „Gott der Herrlichkeit“ verkündeten.
Im ersten Teil des Oratoriums empfindet Saulus noch Freude an der Steinigung des Sebastian in Jerusalem, der vom Volk in einer Hasstirade niedergeschrien und zum Tode verurteilt wird: „Weg mit dem! Er lästert Gott...“. Der Chor, der vorher noch in den schönsten Tönen Gott lobte und preiste, wird hier zur Furie, schrill, laut und hasserfüllt. Im zweiten Teil wird Saulus zum Paulus, denn auf seinem Weg nach Damaskus erscheint ihm Christus und ruft ihn zu sich und seinen Jüngern. Der dramatische Auftakt mit dem belebenden Choral „Der Erdkreis ist nun des Herrn und seines Christ“ zeigte den Chor von St. Johann, bestens geleitet und vorher über viele Monate begleitet vom Meister Bernhard Zosel, von seiner stimmgewaltigen Seite. Die Sängerinnen und Sänger gaben alles, in allen Tonlagen. „Wunderschön“ seufzte da jemand aus dem Publikum.
Die Rezitative, gesungen von der sehr charismatischen Sopranistin Patricia Zehme, die vor einem Jahr bereits im Requiem das Publikum begeisterte, erzählen von diesem Wunder des Glaubens, das Saulus bekehrte. Jesus erscheint ihm als Licht und errettet ihn von seiner Blindheit. Auch musikalisch leuchtet dieser geheimnisvolle Augenblick, untermalt von reinstem Flötengesang. Fortan folgt er als Paulus missionierend den Wegen Gottes, auch wenn es ihn das Leben kosten soll: „Sei getreu bis in den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben! Fürchte dich nicht, ich bin bei dir!“, sehr einfühlsam gesungen von Tenor Benedikt Nawrath. Es gelingt ihm, leise Trost zu verbreiten, aber ebenso, als Stephanus eindringlich zum Volk zu predigen und davor zu warnen, Gottes Macht mit weltlicher Macht gleichzusetzen: „Der Himmel ist sein Stuhl“. Der Bass Peter Anton Ling singt die Rolle des Paulus überzeugend. Als Saulus ist er ganz der zornige Anstifter, der mit großer stimmlicher Wucht auftritt, der die ersten Christen niederschmettert: „Vertilge Sie, Herr Zebaoth“. Noch betet er zum Gott der Strafe und der Vernichtung, dessen Jünger ihrem Gott Tempel bauen, später als Christ bittet er seinen Gott, seine Seele vor der Hölle zu retten. Dieses Gebet gehört zu den schönsten Arien dieses Oratoriums und drückt die Botschaft des Christentums aus: Die Vergebung der Sünden und ein Leben nach dem Tod. Ling berührt mit seinem dunklen Timbre und seiner großen Stimme, die sich wunderbarerweise von Drohung zur Verheißung wandelt. Er drückt nicht nur die Tragik eines zerrissenen Menschen aus, sondern auch das Glück, zu Gott zu finden. Die vier Solisten sind alle brillant mit Stimmen, die anrühren, wie der sanft schmeichelnde Alt von Katharina Magiera – den man engelsgleich nennen möchte – und der wunderbar ausdrucksstarken Sopranstimme von Patricia Zehme, die variationsreich in den höchsten Tönen von diesem Wunder der Erkenntnis singt. Der Tenor Benedikt Nawrath und der Bass Peter Anton Ling, die als Barnabas und Paulus im Duett singen, sind stimmlich kontrastreich und tragen damit zu ungeheurer musikalischer Spannung bei. Das Glaubensbekenntnis im Sinne Luthers findet sich im Choral „Aber unser Gott ist im Himmel... Wir glauben all an einen Gott, Schöpfer Himmels und der Erden, der sich zum Vater geben hat, dass wir seine Kinder werden...“. Mendelssohn bindet hier Martin Luthers Glaubenslied „Wir glauben all an einen Gott“ in die Fuge ein. So erhalten Paulus Worte eine neue Dimension. Sie gehen uns alle an: Wenn wir glauben, sind wir wie Kinder, die vertrauen: Glauben bedeutet Vertrauen. An dieser schlichten und einfachen Aufforderung zur Bekehrung hätte Luther tatsächlich seine wahre Freude gehabt.
Mendelssohn hat diese Theologie in Musik umgesetzt und mit seiner Verehrung der großen Meister seine kompositorische Meisterschaft bewiesen.